IGR Lieber Markus, es freut uns, dass Du Dich für ein Gespräch zum Thema Winterschwimmen zur Verfügung stellst. Du bist Winterschwimmer und Fährimaa. Ist beides miteinander gekommen oder war eine der zwei Rheinangelegenheiten zuerst? Erzähle mir bitte.
Markus Schneider Wenn ich zurückblicke, dann kann ich sagen, dass ich mit Winterschwimmen lange vor meiner Aktivität als Fährimaa begonnen habe. Das geht über 20 Jahre zurück. In einem schönen Sommer haben mich Freunde aus dem Uni Spital, wo ich gearbeitet habe, aufgefordert: komm doch auch mal mit in den Rhein. Das Sommerschwimmen ging dann bis in den Herbst, dann kam die Winterpause und im Frühjahr oder gegen Sommer ging es dann wieder los.
Dann kam eine Zeit der Umstellung im Arbeitsleben. Wir hatten im Süden von England, in Cornwall, eine Retraite. Am frühen Morgen blickte ich aus dem Hotelzimmer und sah den schönen Strand mit Palmen in der Sonne liegen. Das war im Oktober. Ich betrachtete die Bucht und sagte mir, da musst du ins Meer gehen. Das Wasser war nicht mehr so warm. Im Ärmelkanal ist es kaum je über 16 oder 18 Grad warm, auch im Hochsommer nicht. Jetzt im Oktober war es sicher etwas kühler. Das Bad war für mich ein Erlebnis. Das hat mir so gut getan, eine Art psychotherapeutischer Effekt. Dann war mir die ganze Umgebung, das ganze Ziel dieser Retraite plötzlich nicht mehr ganz so wichtig. Ich war dort jeden Tag im Meer baden.
Danach habe ich mir die Frage gestellt: Warum kannst du das nicht im Rhein fortsetzen? Zu Beginn der 2000er Jahre war dies der Anfang meines Winterschwimmens. Nach der Retraite im Oktober, im November habe ich mir gesagt, schau mal wie lange du das durchhältst. Und siehe da, es wurde Dezember, es wurde Januar und ich ging noch immer in den Rhein. Dann war der Winter vorbei. Mein damaliger Arbeitsort, das Unispital, liegt nahe am Rhein, günstig für eine kurze Schwimmpause. Ich fuhr mit dem Fahrrad schnell ins Kleinbasel rüber und legte auf der Höhe des alten Kinderspitals meine Kleider ab, ging in den Rhein rein und wieder raus. Eine halbe Stunde später war ich wieder zurück im Krankenhaus.
Das mache ich jetzt seit 22 oder 23 Jahren, auch nach meiner Pensionierung. Wenn es nicht möglich wäre, würde mir etwas fehlen. Da hat mir mal jemand geraten, es bleiben zu lassen und an meine Kinder zu denken, es könnte doch etwas passieren. Als ich drei bis vier Wochen darauf verzichtet hatte, habe ich realisiert, dass mir das Erlebnis des Eintauchens ins kalte Rheinwasser fehlte und wieder weiter gemacht.
Seither haben mich viele Menschen gefragt, kann ich auch mal mit dir mitschwimmen, das erste Mal möchte ich nicht alleine gehen. Ich ging darauf ein, habe aber keine Gruppe gebildet. Es haben sich verschiedene Gruppen gebildet, da schwimmen die Leute jetzt zusammen; ich schwimme aber einfach weiter für mich allein. Es ist ein Teil meines Lebens geworden.
Als Fährimaa...
Deine zweite Frage, das Fährifahren. Das kam nach meiner Pensionierung. Ich hatte schon immer eine große Beziehung zu den Fähren, ich bin oft zur Dalbefähri gegangen. Den damaligen Fährimaa Martin Reidiger kenne ich gut. Er hat für mich und meine Freunde Apéros und Fondue gemacht; dort habe ich mich gelegentlich auch von Freunden mit einer Feier auf der Fähre verabschiedet. Ich habe damals gesagt: «Martin, ich würde gerne Fährimaa werden.» Das war am Schluss meines Arbeitslebens. Engagiert habe ich die Prüfungen gemacht. Die erste Prüfung war eine Theorieprüfung bei der Rheinpolizei, dann kam die praktische Prüfung und zuletzt die Funkprüfung. Martin hat mich vor 14 Jahren in sein Team aufgenommen.
Ins kalte Wasser steigen
Sehr schön. Und jetzt wollen wir zurück zum Rheinschwimmen. Wenn Du ins Wasser steigst und es ist nur 5 Grad warm wie heute, stellt es Dir dann nicht fast den Atem ab?
Ich habe bei anderer Gelegenheit bei Interviews bereits gesagt, dass ich, ohne mir dabei viel zu überlegen, einfach rein ins Wasser gehe. Ich trage immer Neoprenschuhe, das ist wichtig, weil es immer ein paar Leute gibt, die eine Flasche ins Wasser werfen und sich dabei nichts überlegen. An den Scherben kann man sich verletzen. Ich hab keine Handschuhe an. Es gibt Leute, die tragen Handschuhe. Ich trage auch keine Badekappe.
Ich bereite mich auch nicht speziell vor, auch atemtechnisch mache ich überhaupt nichts. Es gibt Leute, die sagen, es gibt wie eine Art von Atemtechnik fürs Kaltwasserschwimmen. Vom Holländer Wim Hof weiß ich, dass er gewisse Verhaltensweisen empfiehlt. Beruflich habe ich beobachten können, wie Hyperventilieren zu Muskelverspannung und Krämpfen (Tetanie) führen kann, etwas, was nicht physiologisch ist.
Wie lange im kalten Wasser schwimmen?
Ich gehe rein. Und ich beobachte mich nicht allzu fest, ich gehe rein und schwimme und werde vom Rhein mitgenommen und das andere ergibt sich ganz von selbst. Und wenn man gefragt wird, wie viele Minuten man in kaltem Wasser drin sein sollte, dann sage ich nicht viel mehr Minuten als die Temperatur im Wasser beträgt, also bei 5 Grad vielleicht 5 Minuten. Wichtig ist, dass man realisiert, dass die Abkühlung, die im Wasser stattfindet, manchmal nicht ganz so stark ist wie diejenige nach dem Raussteigen aus dem Wasser. Bei Minusgraden und wenn eine Bise weht, wird es richtig kalt und da werden die Finger klamm und dann ist es wird schwierig, den Hosenknopf zuzumachen. Man ist dann froh um den Gürtel. Diese Zeit sollte man auch einberechnen. Das Schlottern (Kältezittern), wenn es auftritt, kommt ein paar Minuten später.
Lässt Du Dich im Wasser treiben oder schwimmst Du aktiv.
Ich schwimme, lasse mich nicht nur von der Strömung treiben. Aber den Kopf mache ich nicht nass. Die nassen Haare bleiben lange nass; es reicht, wenn der ganze Körper drinnen ist. Die Haut wird besser durchblutet, wird reaktiv rot. Die Finger werden vielleicht weiss, ein physiologischer Reflex, weil sich bei der Kaltwasserexposition die peripheren Gefässe verschliessen. Das führt dann zu den weißen Fingern, das Blut kommt nachher wieder rein, das kann man spüren, es pulsiert vielleicht. Der Körper schützt sich gegen die Kälte, indem er in der Peripherie die Durchblutung reduziert. Ich glaube, wenn man regelmässig geht und nicht einfach einmal im Jahr, dann lernt der Körper mit diesem extremen Reiz besser umzugehen. Und ich habe nie das Gefühl gehabt, Muskelkrämpfe zu bekommen und mich nicht mehr bewegen zu können. Es funktioniert alles bestens, so wie im Sommer. Einfach nur ein wenig die Zeit reduzieren, wenn man sich dieser Kälte exponiert.
Die «Eisbader»
Es gibt Leute, die sitzen ins kalte Wasser und bewegen sich nicht und meditieren. Ich meditiere nicht, ich schwimme und gehe wieder raus. Ins kalte Wasser sitzen ist eine Option, die mich irgendwie nicht reizt. Ich erlebe das Schwimmen im Rhein , schaue rundherum. Ich finde es lustig, wenn draußen Leute mit Pelzmantel oder sonst irgendwie warm bekleidet spazieren und einem zuwinken. Es ist schon ein Kontrast.
Gehst Du bei jedem Wetter?
Eigentlich schon, aber ich gehe dann noch lieber, wenn die Sonne scheint. Aber nicht bei Hochwasser!
Die IG Rheinschwimmen hat einmal eine Anfrage eines Lehrers erhalten, er möchte mit seiner Klasse im Dezember im offenen Rhein (und nicht etwa im Innenbereich des Badhyslis im St. Johann) schwimmen gehen. Was hältst Du so von solchen Aktionen?
Ich finde das sehr fragwürdig, um nicht zu sagen verantwortungslos. Ich denke, ein Lehrer hat Verantwortung für alle Schüler. Ich weiß, dass Lehrer, wenn sie einen Schulausflug machen, immer stark gefordert sind, wenn ein Schüler plötzlich nicht mehr da ist. Was ist, wenn ein Schüler beim Winterschwimmen plötzlich nicht mehr da ist? Wo ist er? Ist er ertrunken? Ich würde sagen, eine solche Aktion wäre für mich ein absolutes No-Go. Ohne entsprechende Eins-zu-eins- oder Eins-zu zwei-Betreuung kann man doch die Leute nicht ins kalte Wasser lassen, wenn sie das nicht aus Erfahrung schon kennen. Und vor allem, wenn sie das nicht auch als Erlebnis aufsuchen.
Wenn Dich jetzt jemand fragt, lehre mich bitte, wie man im kalten Rhein schwimmt. Wie würdest Du das beginnen?
Ich habe mal vom Mash-TV Basel, einer Jugendsendung von Telebasel, eine Anfrage von einem Journalisten für ein Interview erhalten. Ich habe gesagt, das sei eigentlich nur lustig, wenn er mitkomme. So gingen wir zusammen schwimmen. Das war super. Nachher haben wir auf der Fähre Kaffee getrunken; der junge Mann hat aber so gezittert, dass er fast allen Kaffee verschüttete. Er war das kalte Wasser nicht gewohnt. Ich habe keine Bedenken, dass jemand, der gesund und motiviert ist, mit mir ins kalte Wasser kommt. Dann empfehle ich die Kleinbaslerseite, da ist man schnell wieder draußen. Das ist dort ein Vorteil.
Auf der Kleinbasler Seite schwimmen
Man muss aber auch beachten, dass auf der Kleinbaslerseite das Rheinbord verändert worden ist. Da sind große Steine gesetzt worden, an denen man sich verletzen kann, vor allem bei Hochwasser, wenn sie überschwemmt sind. Bei Hochwasser gilt ein Fahrverbot für grosse Schiffe, da gilt auch ein Schwimmverbot. Da geh ich nicht rein, auch wenn es vielleicht spannend wäre, wenn man rumgewirbelt wird. Aber wenn der Pegel klar unter der Hochwassergrenze ist, schwimme ich fussvoran zum Ufer und schau nach einer Kette. Am Ufer sind überall Eisenketten angebracht. An einer solchen halte ich mich fest und ziehe mich raus.
Bei Hochwasser ist die Strömung mit über 2000 Kubikmetern pro Sekunde stark. Die Fliessgeschwindigkeit ist mindestens doppelt so hoch wie bei Niedrigwasser. Man muss Respekt haben.
Der Schwimmsack und die Bojen: Tödliche Gefahr
Ich erinnere mich an ein Ereignis, das mir eingefahren ist, und ich weise gelegentlich auch Schwimmer darauf hin, die mit einem Schwimmsack unterwegs sind. Ich bin bei der Schwarzwaldbrücke gestartet und wollte den Rhein überqueren. Da habe ich gesehen, dass bei der Boje vor dem Rochegebäude etwas los war. Es kam ein Rettungsschiff. Eine erfahrene Rheinschwimmerin hatte den Wickelfisch an den Hals gehängt hatte und dieser verfing sich an einer Boje. Sie wurde bei dem nicht sehr hohen Wasserstand unter Wasser gezogen. Der Wickelfisch hielt sie an der Boje fest. Ich konnte noch zur Rheinpolizei aufs Boot und hab sie dort reanimiert, bis sie auf der Grossbasler Seite beim Unispital von der Sanität übernommen wurde. Sie hat ein paar Tage überlebt, erlitt dann aber den Hirntod. Das ist mir eingefahren. Auch als Fährimann sag ich das den Passagieren immer wieder. Der Wickelfisch ist praktisch, um seine Kleider mitzunehmen, aber er ist keine Schwimmhilfe, er ist auch keine Schwimmsicherung. Also denkt daran, schwimmt mit Wickeltisch nicht nahe zur Boje, er könnte sich dort verhangen!
In Basel ist man sehr tolerant, es gibt kein Wickelfischverbot oder eine verbindliche Regel dazu. In Basel darf man sehr viel machen. Die Stadt ist sehr liberal. Verboten ist nur offensichtlicher Blödsinn, wie das Springen von den Brücken und Schwimmen im Hafen. Sollte es zum Winterschwimmen nicht auch Regeln geben?
Ja, aber Regeln? Ich würde sagen, Empfehlungen kann man geben. Ich finde, man soll das Schwimmen nicht regulieren, man kann Empfehlungen aussprechen. Die wichtigste Empfehlung ist, sich selber zu kennen. Man muss medizinisch so weit gesund sein, dass man den Kältereiz auch problemlos tragen kann. Reglementieren kann man das nicht. Meine Empfehlung ist einfach, nur dann im kalten Wasser zu schwimmen, wenn man sich wirklich daran gewöhnen konnte. Der Körper gewöhnt sich an diesen Reiz, er macht mit, wenn das Wasser immer kälter wird, und macht mit, wenn das Wasser wieder wärmer wird. Mit der Übung, weiss man selbst, was man sich zumuten kam.
Den Rhein überqueren
Ich finde es wichtig, daran zu denken, dass man zwar über den Rhein schwimmen darf - es ist nicht verboten - dies aber auch nicht empfohlen wird. Verboten ist das Schwimmen nur im Bereich des Rheinhafens und bei der Birsfelder Schleuse. Ich als Fährimann schaue immer nach unten, flussabwärts, ob ein Schiff bergwärts fährt. Wenn ich (als Schwimmer) bei der St. Alban-Fähre sehe, dass sie rüberfährt, weiss ich, dass kein Schiff bergwärts kommt. Aber der Blick muss immer auch nach oben gehen zur Schleuse. Die grossen Schiffe kommen schnell und haben einen enorm langen toten Winkel. Die Lotsen und Schiffsführer können dich nicht sehen. Erfolgreich bremsen können sie nicht, ausweichen dürfen sie nicht, weil sie sonst die Durchfahrt unter der Wettsteinbrücke oder noch schlimmer bei der Mittleren Brücke verpassen. Ein Schiff muss seine Bahn fahren können. Ich appelliere an alle: schaut rheinaufwärts und rheinabwärts, überquert den Rhein nur, wenn keine Talfahrt oder Bergfahrt in Sichtweite ist, wirklich alles frei ist.
Das ist ein schönes Schlusswort für die IG Rheinschwimmen, die für ein freiheitliches und verantwortungsvolles Rheinschwimmen eintritt. Wir danken Dir für das interessante und persönliche Gespräch und wünschen Dir viel gute Schwimmtage im kalten und im warmen Wasser.