Im Tessin dient das Basler Rheinschwimmen als Abbild der Werte moderner Schweizer Kultur
"Das Basler Rheinschwimmen als Ausdruck schweizerischer Werte ist ein ebenso zerbrechliches wie kostbares Gut, das bewahrt werden muss."
Ein Interview mit der Geografielehrerin Licia Tiboni aus Lugano
IIGR: Frau Tiboni, das Rheinschwimmen in Basel ist seit 2011 in die "Liste der lebendigen Traditionen in der Schweiz" aufgenommen worden. Dies ist die Grundlage für die Nominierung für die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO. Was ist der Aspekt des Basler Schwimmens, der im Unterricht in Lugano besonders hervorgehoben wird?
Der Geographie-Lehrplan sieht vor, die Schweiz und ihre raumbezogenen Praktiken zu untersuchen. Leider empfinden unsere jugendlichen Schüler viele der lebendigen Traditionen, die auf der UNESCO-Liste stehen, wie die Tradition der "Bandella Ticinese" oder Feste, die mit vergangenen landwirtschaftlichen Bräuchen verbunden sind, als altmodisch und sind entsprechend desinteressiert. Bei der Vorführung der Schwimm-Szene im Herzen von Basel hingegen ist die Aufmerksamkeit der Klassen sofort geweckt!
Dieses Moment der Begeisterung zwischen den Schulbänken ("Vogliamo andare a Basilea anche noi Soressa, vogliamo andare! ") ermöglichen es uns, Werte einzuführen, die historisch mit der Schweizer Identität verbunden sind; wie die Achtung von Minderheiten (die Parallele zwischen den grossen holländischen Handelsschiffen und den kleinen Schwimmern, die an ihren bunten "Wickelfischen" hängen, ist schnell erraten), das friedliche Zusammenleben zwischen verschiedenen Kulturen (und hier kann man die Zweisprachigkeit und die trinationale Grenze der Stadt entdecken), und der Zusammenhalt und die soziale Teilhabe, die als Chancengleichheit gelebt wird, und die ein Abbild der gesamten Schweiz ist.
"Das Baden im Basler Rhein ist also ein Thema, das die drei "Flüsse" der nachhaltigen Entwicklung perfekt anspricht: den sozialen, den wirtschaftlichen und den ökologischen."
Und, last but not least, die Art und Weise, wie man diesen grossen historischen Fluss, der hier in unserer Nähe, in den Bündner Alpen, entspringt, derart schützen kann, dass das Baden in Basel möglich wird.
Das Baden im Basler Rhein ist also ein Thema, das die drei "Flüsse" der nachhaltigen Entwicklung perfekt anspricht: den sozialen, den wirtschaftlichen und den ökologischen.
Ist das Schwimmen im Rhein in Basel ein Vorbild für etwas, das Sie den Schülern zeigen möchten?
Natürlich benutze ich die Basler Schwimmer als Auslöser für einen Diskurs über den Unterschied zwischen Raum und Territorium.
Während der Raum eine eher physische Realität ist, hier also ein anonymer Fluss, der durch eine europäische Stadt fliesst, ist das Territorium vielmehr ein Wert, der erworben wird. Es ist eine soziale Konstruktion, wie sie von den heterogenen Gruppen der Basler Schwimmer synthetisiert wird. Und somit eine komplexe und besonders wichtige geo-soziale Organisation, ätherisch und zerbrechlich. Sie muss als ein kostbares Gut bewahrt werden.
Die Rheinufer werden so zu einem Ort der Zusammenkunft, der Zugehörigkeit, zu einem "Herzensort", der seinem Wesen nach nicht begrenzt oder verboten werden soll.
Der französische Geograf Joel Bonnemaison schrieb hierzu: "Das Territorium ist die Kehrseite des Raumes. Es ist eine Verbindung, bevor es eine Grenze ist".
Der Fluss der drittgrössten Stadt der Schweiz ist ein Territorium, das, wenn es von seinen Badegästen wahrgenommen, geliebt und geformt wird, zu einem gelebten Raum wird, einem Ort der Seele, den man liebt und respektiert. Studien zeigen, dass die Kriminalität abnimmt, wenn der Raum angeeignet und geschätzt wird. Das ist sehr aktuell!
Ist das Schwimmen im Rhein auch ein Vorbild für Lugano?
Im Herzen von Lugano, im wunderschönen Parco Ciani, wurde das Delta des Wildbachs Cassarate vor etwa 10 Jahren renaturiert und für Badegäste geöffnet. Nach anfänglicher Zurückhaltung haben die Bürger diesen aussergewöhnlichen neuen Ort schnell für sich entdeckt. Für die Entstehung mussten die Interessen mehrerer Akteure berücksichtigt werden. Dies war und ist nicht ohne Risiko. In einigen Fällen kam es zu schweren Unfällen. Denn die "Realität" dieses neuen Erholungsraums wird auch von den (manchmal trügerischen) Empfindungen und Lebensgewohnheiten der verschiedenen Nutzer geprägt, die ihn besuchen. Seien wir also vorsichtig! Dennoch: Es ist der Mühe wert.
Meine Schüler fragen sich manchmal, warum Touristen ausgerechnet zu uns kommen, wo doch das benachbarte Italien so viele schöne Städte, Landschaften und Meere zu bieten hat.
Die Antwort könnte sich hinter einer anderen Frage verbergen.... Was ist Luxus? Es ist die Möglichkeit, inmitten der Städte frei in der Natur zu baden. Es ist die Fähigkeit zu einer respektvollen Unabhängigkeit, die tief in der Eidgenossenschaft verwurzelt ist. Es ist die fluide Freiheit einer raffinierten, befreiten und zutiefst zivilen Stadtplanung!
Vielen Dank für dieses Gespräch!